Warum die Drei für Morgan-Fahrer eine Glückszahl ist: Das Modell Super 3 im Test (2024)

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Warum die Drei für Morgan-Fahrer eine Glückszahl ist: Das Modell Super 3 im Test (1)

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Der erste Eindruck: Baron von Richthofen möge in Frieden ruhen. Sah der Morgan 3-Wheeler bald 100 Jahre lang aus wie ein historischer Kampfflieger, dem die Flügel gestutzt wurden, geht er jetzt fast schon als Space Shuttle für Frischluftfreunde durch, so weit haben die Designer den wahrscheinlich schrägsten Roadster unter der Sonne in die Zukunft gebeamt. Selbst die Speichenräder haben sie dafür geopfert und durch schmale Gummis aus voll verkleideten Scheiben ersetzt. Nur eines bleibt: Mit zwei Rädern vorn, einem hinten und dazwischen nicht viel mehr als einer Badewanne aus Aluminium fängt der neue Super 3 noch immer mehr Blicke als jeder Supersportwagen. Selbst Lewis Hamilton in seinem Formel-1-Mercedes würde hier in den Cotswolds wahrscheinlich nicht mehr auffallen als der Super 3 bei seiner ersten Testfahrt.

Das sagt der Hersteller: Wenn schon, denn schon. Zwar weiß Morgan um den Spleen seiner Kunden und hält ja nicht ohne Grund seit über 100 Jahren an dem – nun ja – eher skurrilen Konzept vom Dreirad für Erwachsene fest. Doch statt das alte Modell munter weiterzuentwickeln und mehr schlecht als recht über die Zulassungshürden zu hieven, haben sie jetzt noch einmal ganz von vorn angefangen, erläutert Pressesprecher James Gilbert. Das war keine leichte Entscheidung, räumt Firmenchef Steve Morris ein. Denn als sie den 3-Wheeler vor elf Jahren zurückgebracht haben, seien sie schier überrannt worden von der Nachfrage. Und entsprechend schwer sei es ihnen gefallen, an diesem Erfolgsrezept herumzudoktern.

Dass sie es trotzdem getan haben, liegt streng genommen an der EU. Sie hat Morgan mit ihren Schadstoffgrenzwerten zur Wahl eines neuen Motors gezwungen. Der wunderbar antiquierte, aber eben auch authentische V2 des amerikanischen Motorradzulieferers S&S hatte keine Chance mehr und weicht jetzt einem saubereren aber seelenlosen Dreizylinder aus dem Ford Fiesta. Weil der zwar aktueller ist, aber auch nicht so ansehnlich, dass man ihn wie den Zweizylinder offen vor sich herfahren möchte, hat Morgan ihn diesmal unters Blech gepackt – und dann gleich die ganze Karosserie umgestaltet, neue Wege für die Luftführung gesucht und den Wagen so sichtlich modernisiert. Außerdem haben die Briten bei der Gelegenheit gleich auch die Chance genutzt, die Plattform auszuwechseln und dem Morgan eine Art selbsttragende Struktur aus Aluminiumprofilen verpasst, die sie wie in der Formel 1 sogar »Monocoque« nennen. Die bietet nicht nur ein bisschen mehr Platz, wozu wir gleich noch kommen. Sondern mit ihr hält auch ein Mindestmaß an passiver Sicherheit Einzug, wenn es sonst schon keine Extras wie Airbags oder Assistenzsysteme gibt.

Wie rücksichtslos die Entwickler bei der Neuauflage mit den Traditionen umgegangen sind, zeigt sich nicht nur am voll verkleideten Bug mit den LED-gefüllten Glupschaugen oder den digitalen Instrumenten. Sondern das erkennt man vor allem in der Grundkonstruktion. Weil sie sich nur der Funktion verpflichtet gesehen haben und nicht der Vergangenheit, haben sie diesmal sogar auf den Einsatz der Eschenholz-Latten verzichtet, die bislang jedem Morgan die nötige Stabilität gaben. »Wir waren fertig mit der Struktur und mit allen Mess- und Crashergebnissen zufrieden, also haben wir uns gefragt, wo wir denn nun das Holz unterbringen«, erinnert sich Pressesprecher James Gilbert. »Und fanden die Frage allein plötzlich Antwort genug: Was wir nicht brauchen, das lassen wir einfach weg.«

Nicht nur wegen dieser Konsequenz, einem bisschen mehr Komfort und einem Hauch von Sicherheit sollte man gegenüber der EU den Begriff »Schuld« eher vorsichtig verwenden. Denn man kann den EU-Bürokraten auch dankbar sein, und zwar nicht nur, weil sie es ja nur gut meinen, zumindest mit der Umwelt und der Gesellschaft. Sondern weil sie die Briten so dazu gezwungen haben, den Threewheeler noch einmal neu zu erfinden und ihn damit fit für die nächsten Jahre – oder nach Morgans Maßstäben – wohl eher Jahrzehnte zu machen. Anders als James Bond in seinem jüngsten Film stirbt nämlich der Morgan offenbar nie.

Das ist uns aufgefallen: Nicht einsteigen, sondern absteigen: Wo man sich bei anderen Sportwagen unter engen Scherentüren hindurchfädeln muss, stellt man sich beim Morgan einfach auf den Sitz und lässt sich fallen. War das früher noch so, als würde man 46er Füße in einen 39er-Stiefel quetschen, ist der Platz zwischen dem hohen Mitteltunnel und dem Blech neben der Hüfte mittlerweile weit genug für ein bisschen Wohlstandsspeck. Und wer sich erst einmal die Pedale richtig justiert hat, der bekommt nun selbst lange Beine und große Füße unter. Zwar fällt man bei dieser Prozedur sehr viel tiefer als in den meisten anderen Sportwagen und nimmt im vorauseilenden Gehorsam das Portemonnaie aus der Hosentasche, weil es sonst gefühlt am Asphalt schleift. Doch was nach Abstieg klingt, ist streng genommen ein Aufstieg. Nach ganz oben im Sportwagen-Olymp. Denn intensiver als im Morgan kann man Fahren nicht fühlen – und dabei obendrein noch lernen, dass Lust nichts mit Leistung zu tun hat. Absolut gar nichts.

Wie immer im Flugzeugstil unter einer Schutzklappe im co*ckpit versteckt, startet ein kleiner Druckknopf den gerade mal 1,5 Liter großen und mickrige 118 PS starken Motor und beamt den Fahrer in eine andere Erlebniswelt. Denn egal, ob Elektroauto oder Supersportwagen, Luxuslimousine oder Stadtflitzer – kein anderes Auto stimuliert so viele Sinne wie der Morgan: Jede Fahrbahnunebenheit schlägt durch bis in die Knochen, Lenken ist ein Kraftakt, die aus dem Mazda MX-5 entlehnte Schaltung, knackig, cross und trocken wie Knäckebrot und genauso fragil, erfordert echte Handwerkskunst. Wo keine Karosserie den Blick behindert, sehen die Augen die Welt mit einem ultimativen Panoramablick, und im Bauch wirbeln die Schmetterlinge herum wie bei einem Frühlingssturm über einer Blumenwiese, so wild wirft sich das Dreirad in die Kurven, ohne dass einen irgendeine Form von Seitenneigung vor dem nahenden Grenzbereich warnen würde. Und selbst wenn einem das Pöttern des V2-Motors noch in den Ohren klingt wie ein Evergreen, ist auch der Dreizylinder hitverdächtig, weil sie ihm in den Backsteinhallen von Malvern Link irgendwie das sonst übliche Schnattern abgewöhnt haben.

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Während die Drehzahl auf den digitalen, von Videokonsolen der Achtziger inspirierten und entsprechend minimalistischen Instrumenten Sprünge macht wie der Puls des Fahrers, jagt der Morgan über schmale B-Roads rund um Chipping Camden, Broadway oder Cirencester und beweist auf jeder Meile, dass Geschwindigkeit relativ ist und dass ein kleiner Motor selbst mit nur 150 Nm ganz groß rauskommt, wenn das Auto gerade mal 635 Kilogramm wiegt. Denn wo sich ein Sprint von 0 auf 100 km/ h in 7,0 Sekunden in einem Lamborghini genauso langweilig anfühlt wie die 209 km/h, die der Super 3 bei Vollgas erreicht, wähnen sich die Super-3-Fahrer längst jenseits des Limits und versuchen, der Reizüberflutung Herr zu werden.

Derweil klatschen einem der Fahrtwind und mit ihm die Fliegen fast ungehindert ins Gesicht. Denn die beiden winzigen Windabweiser, die vorn auf die Haube geschraubt sind, beruhigen eher das Gewissen als das Getöse, das schon kurz jenseits des Schritttempos einsetzt. Jetzt nur nichts ins Grinsen verfallen, sonst braucht man am Ende der Fahrt viel Zahnseide, um die Insekten wieder aus dem Gebiss zu bekommen.

Und da erdreisten sich die Briten zu der Behauptung, der Morgan sei praktischer geworden. Na ja, ist er ja auch: Es gibt ihn schließlich mittlerweile auch mit einer normalen Frontscheibe und vor allem mit jeder Menge Extras, die ihn beinahe zum Langstreckenauto machen. Nein, natürlich keine Klimaanlage. Und selbst die Navigation ist lediglich ein Bildschirm von der Größe einer 2-Euro-Münze für die Richtungsanzeige und läuft nur mit der App auf dem Handy. Aber an den Flanken, auf dem Heck, ja sogar auf der Motorhaube gibt es nun ein spezielles Schienensystem samt Packtaschen oder Koffern und allerlei anderem Zubehör, das man für weitere Reisen braucht.

Morgan Super 3

Hersteller:

Morgan

Typ:

Super3

Karosserie:

Roadster

Motor:

Dreizylinder-Saugbenzindirekteinspritzer

Hubraum:

1498 ccm

Leistung:

87 kW/118 PS

Drehmoment:

150 Nm

Getriebe:

5-Gang-Handschaltung

Antrieb:

Heckantrieb

Von 0 auf 100:

7,9 s

Höchstgeschw.:

209 km/h

Verbrauch:

7,0 L/100 km

CO2-Ausstoß:

130 g/km

Länge/Breite/Höhe in mm:

3581/1850/1132

Gewicht:

635 kg

Kofferraum:

ka.

Preis:

55.000 Euro

Das muss man wissen: Nachdem der alte 3-Wheeler im letzten Jahr ausgelaufen ist, fährt Morgan jetzt gerade die Produktion des neuen hoch und will die ersten Autos noch in diesem Sommer ausliefern. Die Preise beginnen bei 55.000 Euro, was verdammt viel Geld ist für ein Spielzeugauto, mit dem man gemessen an konventionellen Autos kaum weiterkommt als damals auf dem Dreirad im Kindergarten. Aber anderseits ist es verdammt wenig für eine Fahrmaschine, die mehr Spaß macht und insbesondere auf öffentlichen Straßen mehr Erlebnis bietet als jeder Ferrari und dabei noch mehr Blicke fängt als ein Bugatti.

Los geht es erst einmal mit dem Dreizylinder, und während die Preisliste über 200 Accessoires und Ausstattungsvarianten bietet, ist von einem Antrieb nicht die Rede. Zumindest nicht laut und nicht freiwillig. Doch auch in Malvern Link wissen sie, dass sie über kurz oder lang nicht um die Elektrifizierung herumkommen. Und nachdem sie schon vom alten Threewheeler mal eine Studie mit Batterien statt Benzintank gebaut haben, wird die Technik beim neuen in ein paar Jahren in Serie gehen.

Das werden wir nicht vergessen: Den hochprozentigen Gefühlsco*cktail am Ende der Testfahrt: Erleichterung, weil man den Ritt mit dem rasenden Einbaum heil überstanden hat; Begeisterung, weil Fahren diesseits eines Motorrades kaum sonst irgendwo so intensiv ist und vor allem, weil man sonst nirgends mit so wenig PS und entsprechend wenig Benzin so viel Spaß haben kann. Und Überraschung, weil man aus der Badewanne auf Rädern zum ersten Mal sorglos aussteigen kann, ohne sich an dem jetzt unter dem Blech verlegten Auspuff die Wade zu verbrennen. Spätestens dann haben auch die Traditionalisten unter den Kunden, und die sind bei Morgan die Mehrheit, mit der Neuerfindung des Dreirades ihren Frieden gemacht.

Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von Morgan unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.

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